Grußwort Prof. Dr. Rolf Rossaint
Liebe Kolleginnen
und Kollegen,
sehr geehrte Damen
und Herren,
ich freue mich, Sie im Namen der Deutschen Gesellschaft
für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI)
zum 67. Deutschen Anästhesiecongress (DAC) 2020 nach
Wiesbaden einzuladen.
Das Wissen in allen medizinischen Fachgebieten – wie
auch in Anästhesie, Intensiv-, Notfall-, Schmerz- und
Palliativmedizin – steigt in den letzten 70 Jahren nahezu
exponentiell an: Während 1950 ca. 50 Jahre bis zur
Verdoppelung des medizinischen Wissens vergingen,
betrug diese Zeitspanne 1980 noch 7 Jahre, 2010 nur
noch 3,5 Jahre, und 2020 wird das medizinische Wissen
vermutlich innerhalb von 73 Tagen auf das Doppelte
anwachsen. Dadurch wird es für den Einzelnen bei
gleichzeitiger weiterer Verdichtung des klinischen Arbeitsalltags
nahezu unmöglich, das für die Patientenbetreuung
relevante medizinische Wissen in allen Facetten
vorzuhalten, zusammenzuführen und zum Wohle des
Patienten einzusetzen.
Somit steht unser Fachgebiet – wie die gesamte Medizin – vor großen Herausforderungen. Unsere Patienten
erwarten, dass wir das vorhandene Wissen optimal für
ihre Diagnostik und ihre Therapie einsetzen. Der DAC
2020 wurde daher unter das Motto „Wissen vernetzen“ gestellt: Wissen soll disziplinär, interdisziplinär und
interprofessionell vernetzt werden. Zwar publizieren
einzelne in unserem Fachgebiet tätige Wissenschaftler
in herausragenden grundlagenwissenschaftlichen oder
hochrangigen klinischen Publikationsorganen, jedoch
sind es oft große internationale Netzwerke, die die für
die Patientenversorgung entscheidenden „landmark“-Arbeiten publizieren. Wir sind aufgefordert, nicht nur als
Einzelkämpfer grundlagenwissenschaftliches oder klinisches
Wissen zu generieren, sondern darüber hinaus die über Standorte verteilten disziplinären Kompetenzen
zusammenzuschließen; denn obwohl wir an den einzelnen
Standorten wissenschaftlich sehr gute Arbeit leisten,
fehlen noch große von Anästhesiologen geführte überregionale Forschungsverbünde in den Grundlagen
unseres Faches bzw. lässt die Anzahl und Beteiligung
an großen klinischen Multicenterstudien noch reichlich
Raum für den Ausbau von wissenschaftlichen Kooperationen
und Netzwerken. Anfänge dazu sind gemacht – das Studienzentrum der DGAI, das translationale
intensivmedizinische Forschungsnetzwerk Organdysfunktion,
einzelne strukturierte Forschungsverbünde
der DFG mit mehreren Kliniken im Forschungsverbund
sowie die telemedizinische Verknüpfung kleinerer
Kliniken mit großen Zentren.
Diese Aktivitäten müssen jedoch durch interdisziplinäre
und interprofessionelle Aspekte ergänzt werden. Wenn wir künftig entscheidende Verbesserungen für unsere
Patienten in Diagnostik und Therapie machen wollen,
so wird uns dies nicht allein mit einer disziplinären Wissenserweiterung
und -vernetzung gelingen, vielmehr
benötigen wir auch den Wissenszugewinn aus und die
Wissensvernetzung mit anderen Fachdisziplinen und
Berufsgruppen. Daher sehen wir es als eine Notwendigkeit
an, den Kongress zusammen mit Kollegen
anderer Fachdisziplinen und anderen Berufsgruppen
wie Pflegenden, Physio- und Atemtherapeuten sowie
Rettungsdienstmitarbeitern zu gestalten. Schließlich
gibt es wenige Bereiche der Medizin, die so eng als
Team vernetzt sein müssen, wie die Anästhesiologie
mit ihren fünf Säulen. Die Anästhesiologie profitiert von
dem interdisziplinären und interprofessionellen Wissen,
und unsere Patienten mit häufig sehr komplexen Krankheitsbildern
benötigen exakt diese gelebte Vernetzung
mit den verschiedenen professionellen Blickwinkeln
auf ihre Erkrankung, ihre elementaren Bedürfnisse und
ihren Heilungsprozess.
In Posterpräsentationen und Vorträgen werden junge
wie etablierte Wissenschaftler ihr neu erarbeitetes
Wissen darstellen, in das bisher Bekannte einordnen
und diskutieren. Ich darf Sie ausdrücklich ermuntern, in
diesen Diskurs einzutreten; bereichern Sie den Kongress
mit Ihrem Wissen und Ihrer Diskussionsfreude in den
verschiedensten Sitzungen unseres Fachgebietes. „Wissen
vernetzen“ bedeutet zudem, unsere klinische Expertise
und Erfahrungen sowie evidenzbasierte Behandlungsmethoden
zu teilen. Wir sind stolz, in den fünf
Säulen A-I-N-S-P ein Rückgrat der Patientenversorgung
zu sein. Diese Verantwortung bedeutet aber für uns alle,
immer auf dem aktuellen Wissensstand der Medizin, der
Leitlinien-gerechten Versorgung, zu sein und die Diskussion
um den richtigen Weg der Behandlung unserer
oft schwerstkranken Patienten zu suchen. Der Kongress
ist weiterhin so aufgebaut, dass die fünf Säulen unseres
Fachgebietes als große Vortragsstränge dem Kongress
eine Gliederung verleihen und ermöglichen, gezielt Ihr
Wissen in dem Sie besonders interessierenden Bereich
zu vertiefen. Diesen zur Seite stehen die Vortragsreihen
der facharzt-fit Reihe, die gezielt den Kolleginnen und
Kollegen vor der Ablegung der Facharztprüfung oder einer
Zusatzbezeichnung ermöglichen, praxis-relevantes
Wissen von den Referenten zu erfahren und klinisches
Wissen zu vernetzen.
Ich freue mich darauf, Sie an einem neuen Kongressstandort
in Wiesbaden, zentral in Deutschland und gut
erreichbar gelegen, zu begrüßen. Ich danke bereits
herzlich den Vertretern der Industrie für ihre Unterstützung
und ermutige Sie alle, sich neue und hilfreiche
Entwicklungen auf der Industrieausstellung erläutern
zu lassen.
Ich wünsche uns allen einen lehrreichen Kongress.
Vernetzen wir unser Wissen!
Ihr
Prof. Dr. Rolf Rossaint
Präsident 2020